Der Camptalk mit Mathias Mester

Mathias Mester, geboren 1986 in Münster, feierte zwischen 2006 und 2021 seine größten sportlichen Erfolge. Der 142,5 cm große Athlet gewann sieben Weltmeister- und vier Europameistertitel, wurde 22-mal Deutscher Meister und holte die Paralympics-Silbermedaille im Kugelstoßen. Nach Beendigung seiner sportlichen Laufbahn im Jahr 2021 steht für Mathias das Leben aber ganz und gar nicht still. Er schreibt ein Buch, ist in sozialen Medien sehr aktiv, begeistert seine Fans mit kreativen Videos, holt 2022 zusammen mit Renata Lusin den dritten Platz bei Let’s Dance und ist gern gesehener Gast in Talkshows. Im April startete er nun mit seiner Weltmesterschaft durch. Mit diesem spannenden Mann wollten wir unbedingt persönlich über seine Erfolge, sein neues Projekt und über Inklusion sprechen. Er ist vielleicht kleiner als der Durchschnitt, dafür aber ein ganz Großer und überdurchschnittlich, wenn es um Sport, Motivation, Inspiration, Vorbildfunktion, Humor, Miteinander, Andersseindürfen und um den Umgang mit Behinderung geht. Herzlich willkommen, Mathias Mester.

CWH: Als Erstes muss ich natürlich kurz aufs Thema Campen kommen. Sie waren letztes Jahr zusammen mit Moderatorin Bettina Tietjen (Tietjen campt) auf großer Campingtour durch sechs Bundesländer. Mit dabei waren auch Jürgen von der Lippe, Laura Larsson, Abdelkarim, Elena Uhlig und Patricia Kelly. Wie war es denn?
MM: Tatsächlich war das eine Premiere für mich, bisher hatte ich mit dieser Urlaubsform nichts am Hut. Ich bin eher der Hoteltyp, der faul am Strand oder am Pool liegt, die Seele baumeln lässt und sich abends gut bekochen lässt. Als die Anfrage kam, habe ich aber nicht lange überlegt und mich auf das Abenteuer eingelassen. Am Ende unserer Tour war ich so weit, dass ich auch im Camper geschlafen habe. (lacht) Ich habe super genächtigt und morgens nach dem Aufwachen direkt auf den See geblickt. Das hatte schon was, das war wirklich etwas Besonderes. Auch waren wir bei dieser Roadshow ein wirklich tolles Trüppchen, ein bunter Haufen toller Menschen!
CWH: Übrigens war Bettina Tietjen vor vier Jahren meine erste Interviewpartnerin und sie gab quasi den Startschuss für unsere Camptalks im Magazin.

Eine bunte Truppe bei „Tietjen campt“: Mathias Mester, Bettina Tietjen, Laura Larsson, Abdelkarim, Elena Uhlig, Jürgen von der Lippe, Patricia Kelly (nicht im Bild)

Foto: NDR/Hendrik Lüders

CWH: Man sagt, dass Camper ein großes Miteinander haben und auch recht selbstverständlich mit Inklusion umgehen. Ist Ihnen das aufgefallen?
MM: Auch wenn ich das nicht wirklich beurteilen kann, da wir jeden Tag auf einem anderen Platz waren, habe ich schon gemerkt, dass der Camper an sich wohl eine „Geht-nicht-gibt-es-nicht-Mentalität“ hat, anpackt und macht. Und ja, Zusammenhalt und auch Hilfsbereitschaft waren deutlich sichtbar – das hat mir sehr gut gefallen.

CWH: So, nun zu Ihnen, lieber Herr Mester. Wie haben Sie es geschafft, einen solch starken Charakter zu entwickeln und dieses Selbstbewusstsein, gepaart mit Humor und Power, an den Tag zu legen? Trotz oder gerade wegen Ihrer „Behinderung“?
MM: Definitiv haben mir meine Familie und meine Freunde sehr viel mitgegeben. Ich komme aus einem Dörfchen, war dort immer mittendrin und mit dabei, hatte nie das Gefühl, anders zu sein. Das hat mich natürlich sehr nach vorne geschossen. Und natürlich war der Sport maßgeblich an meiner Entwicklung beteiligt, er hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin – zu einem selbstbewussten Mann, der mitten im Leben steht, der weiß, was er will und was er nicht mehr will.

CWH: Schlechte Erfahrungen haben zu Ihrer Entwicklung doch sicher auch dazugehört?
MM: Natürlich war nicht immer alles cool und ich habe auch negative Erfahrungen gemacht. Aber all das gehört zum Leben dazu und war wichtig für meine Entwicklung. Ich musste diese Erfahrungen in mir selber machen, um den richtigen Umgang mit meiner Behinderung lernen zu können. Ich hatte nie das Gefühl mein Leben sei nicht lebenswert, dennoch habe ich früher auch an mir, meiner Kleinwüchsigkeit und meiner Behinderung gezweifelt. Dann habe ich mich gefragt, wie ich künftig damit umgehen will. Mit hängendem Kopf durchs Leben laufen und letztendlich kein Leben mehr haben oder mit Spaß die Welt erleben, mich selber nicht mehr zu ernst zu nehmen und auch über mich, inklusive meiner Behinderung, lachen zu können. Ich habe mich für Zweiteres entschieden und zudem im Laufe der Zeit festgestellt, dass wir doch alle irgendeine Behinderung haben und jeder Mensch mit irgendetwas an sich unzufrieden ist.
CWH: Wie wahr!

CWH: Kürzlich habe ich die Talkshow Das! vom NDR gesehen. Sie haben der Moderatorin Inka Schneider erzählt, dass Sie den Golfsport für sich entdeckt haben. Sie merkte daraufhin an, dass es sich bei Ihnen dann doch wohl eher um Minigolf handeln würde. Ich habe herzlich gelacht, mich aber gleichzeitig gefragt, wo die Grenzen liegen. Es darf gelacht werden?
MM: Natürlich, ich liebe Humor, es kommt aber schon darauf an, von wem so ein Witz kommt und vor allem, wie er gemeint ist, was ich inzwischen aber sehr schnell einzuschätzen weiß. In meiner Jugend war das noch anders. Wenn ich früher Anklang gefunden habe oder auch bei Mädels gut angekommen bin, wurden sehr schnell Witze über meine Größe gemacht. Das hat mich damals sehr gestört, auch weil es mich dann wirklich klein gemacht hat. Ich habe dann begonnen zu kontern und selber Witze rausgehauen, was früher sicher auch ein gewisser Selbstschutz war.

CWH: Unbedachte dumme Äußerungen oder schlechte Witze über Behinderungen zu reißen, ist ja oftmals auch Unsicherheit.
MM: Ja natürlich! Es ist schon so, dass Menschen oft nicht wissen, wie sie mit Behinderung richtig umgehen sollen. Genau aus diesem Grund blieben früher auch meine Bekanntschaften mit Frauen oftmals oberflächlich. Heute, mit zunehmendem Alter, verschieben sich die Werte ja Gott sei Dank und andere Dinge wie Charakter, Vertrauen, Ehrlichkeit und natürlich Humor werden wichtiger.
CWH: Der große Vorteil des Alters.

CWH: Gefühlt geht das Miteinander in unserer Gesellschaft immer mehr verloren. Auch Barrieren werden eher auf- als abgebaut. Geht diese Entwicklung auch auf Kosten der Inklusion?
MM: Definitiv! Gerade seit Corona wurde ja so manches negativer. Wenn immer mehr Menschen das Gemeinschaftsgefühl verlieren, wird es auch schwieriger, bestimmte Dinge umzusetzen. Um so wichtiger sind Botschafter, die immer wieder anklopfen, um auf Dinge aufmerksam zu machen, die besser laufen müssen. Ich mache das ja auch, darf das öffentlich in meiner eigenenBeklopptheit tun. Ich lebe die Inklusion und daher lautet meine positive Botschaft heute: „Hey Leute, ich bin genau so ein verrückter Vogel wie ihr!“ Damit kann ich viele Menschen erreichen, sie motivieren und vor allem inspirieren. Ich sehe es als meine Aufgabe an zu vermitteln, dass jeder auf seine eigene Weise alles erreichen kann, wenn er an sein Ziel glaubt und sich nicht von Aussagen wie „Das kannst du doch gar nicht“ beirren lässt. Es ist doch so: Ich als kleinwüchsiger Mensch kann sicher keinen Basketballspieler abgeben, aber einer, der eine Brille trägt, kann eben auch kein Pilot werden.

CWH: Ich würde mir wünschen, dass irgendwann die Zeit kommt, in der Behinderung nicht mehr Anderssein bedeutet, dann würden wir in einem Interview gar nicht über Ihre Kleinwüchsigkeit sprechen.
MM: Ja, das wäre schön, nicht mehr über Behinderung zu sprechen, sondern sie einfach zu leben. Ich glaube aber, dass, wir beide das nicht mehr erleben werden.

CWH: Kommen wir nun zu Ihrem neuesten sportlichen Coup. Vom 14. bis 27. April fand die von Ihnen initiierte Weltmesterschaft statt. Wie kam es zu dieser Idee?
MM: Als während Corona die Paralympics verschoben wurden, habe ich die Spiele einfach zu mir nach Hause geholt und 2020 die „Parantänischen Spiele*“ ins Leben gerufen. Bei dieser Internetaktion habe ich in der Zeit, in der eigentlich die Paralympics laufen sollten, jeden Tag um 18 Uhr lustige Quatsch-Sportarten und Challenges ins Netz gestellt. Es gab sogar eine Eröffnungsfeier und natürlich auch Pressekonferenzen.

* Für diese Social-Media-Aktion gab es vom Deutschen Behindertensportverband den Sonderpreis „Besondere Leistung“ bei der Wahl zum Parasportler des Jahrzehnts.

CWH: Kurz dazwischengefragt: Was bitte sind Quatsch-Sportarten?
MM: Zum Beispiel Freischwimmen in der Badewanne, ich passe da ja komplett mit dem Kopf rein. (lacht) Bei meiner Weltmesterschaft gab es nun sehr viel mehr Disziplinen als bei den Parantänischen Spielen – ich bin dieses Mal bei den Challenges auch gegen andere Leute angetreten, habe zum Beispiel mit Fußballweltmeister Benedikt Höwedes Fußball gespielt. Schwimmen war auch wieder dabei – dieses Mal synchron in der Badewanne, Hobbyhorsing (Dressurreiten) und vieles mehr. Neben all diesen Disziplinen ging es aber in ersten Linie darum, für Unterhaltung zu sorgen und etwas Gutes zu tun. Man konnte virtuelle Tickets kaufen, spenden oder Requisiten wie mein Kampfshirt, meine Badekappe usw. ersteigern. Der komplette Erlös wurde gespendet.

CWH: Kurz noch sportlich-neugierig gefragt: Haben Sie all Ihre Pokale und Auszeichnungen Ihrer Sportkarriere noch?
MM: Ja natürlich, ich habe sogar einen eigenen kleinen Raum, in dem ich in Erinnerungen schwelgen kann. Dort stehen all meine sportlichen Errungenschaften, meine Speere, meine Schuhe und in einer Vitrine alle meine Auszeichnungen und Medaillen. Meine Silbermedaille nimmt natürlich einen Ehrenplatz ein. Wenn ich dort sitze, sage ich zu mir: „Oh wie geil, was ich erleben durfte und was ich alles geschafft habe.“

CWH: Leider müssen wir zum Ende kommen. Eine Frage hätte ich aber noch. Wen würden Sie gerne einmal kennenlernen?
MM: Joko und Klaas, die beiden finde ich richtig toll, ich liebe ihre Art, da sehe ich mich wieder. Viel Humor und dennoch immer wieder ernsthafte Themen, das finde ich toll. Die beiden würde ich sehr gerne einmal kennenlernen.
CWH: Ein Format, das Comedy und Inklusion zum Motto hat, wäre doch eine großartige Idee. Ich kann mir gut vorstellen, dass so etwas die Inklusion wunderbar zu mehr Normalität führen könnte. Ich hoffe, dass Joko und Klaas diese Zeilen lesen, ebenso begeistert sind von dieser Idee und sich in Kürze bei Ihnen melden. Wenn es so weit ist, bekomme ich bitte das erste Interview.
MM: Aber selbstverständlich. (lacht)

CWH: Ich sage ganz herzlichen Dank für das wunderbare Gespräch.
MM: Ich sage danke, dass ich dabei sein durfte.

Das Interview führte Chefredakteurin Karin Werner

Foto: Nicole Müller

Auch wenn der 142,5 cm große Athlet seine aktive Laufbahn im Sommer 2021 für beendet erklärte, gab es im April eine glorreiche Premiere: Die WELTMESTERSCHAFT von und mit Mathias Mester. Wer bei diesem Event in den vorderen Reihen mit dabei war, hatte nicht nur jede Menge Spaß und Sport, sondern konnte auch aktiv etwas für den guten Zweck tun. Der Erlös dieses Events ging komplett und ohne Umwege an den Kreisverband Coesfeld des Deutschen Kinderschutzbunds und den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Südliches Münsterland. Typisch Mathias: Er unterhält auf seine unverwechselbare Art mit einer herrlichen verückt-lustig-sportlich-kreativen Idee und tut dabei noch Gutes. Bitte mehr davon!

Mehr zu Mathias Mester: @mathiasmester auf Instagram

Mathias Mester ist Sportbotschafter für das Deutsche Sportabzeichen und setzt sich insbesondere für den inklusiven Sport ein: https://deutsches-sportabzeichen.de/partner

Das Buch von Mathias Mester „Klein anfangen – groß rauskommen“ ist beim Delius Klasing Verlag erschienen und im Buchhandel oder über Amazon erhältlich.

Titelfoto: Studio Ignatov