Solidarität: zusammenhalten in der Not

An der Ostseeküste wütete am 20. Oktober 2023 eine schwere Sturmflut und verursachte Schäden in Millionenhöhe und Tonnen von Müll. Landesweit wurden rund 100 Campingplätze und Hunderte von Wohnwagen von den Wassermassen überflutet, ganze Strandabschnitte gingen verloren. Ein Ereignis, das bei aller Tragik aber wieder einmal gezeigt hat, wie groß die Solidarität und die Hilfe an der Küste Schleswig-Holsteins war und was Zusammenhalt alles möglich machen kann.

Viele Campingplätze hat es hart getroffen. Der Campingplatz Wulfener Hals auf Fehmarn hat eine Schadenssumme von rund 600.000 Euro zu verkraften, auf dem Ahoi Camp Fehmarn wurde ein rund 800 Meter langer Strandwall nahezu komplett zerstört und auch im Camp Langholz sah nach der Sturmflut nichts mehr aus wie zuvor. Die Liste der Betroffenen ist lang. Während den Wintermonaten wurde geschuftet und umfangreiche Instandsetzungsarbeiten vorgenommen, sodass die meisten Platzbetreiber an Ostern in die neue Saison starten konnten – auch wenn noch nicht alle sichtbaren Schäden behoben sind. Wir haben mit Platzbetreiber Christof Albrecht vom Camp Langholz in Waabs gesprochen.

CWH: Wie haben Sie die Sturmflut erlebt?
CA: Es war das schlimmste Hochwasser an der Ostseeküste seit 119 Jahren. Niemand Lebendiger hatte so etwas vorher erlebt. Ich war zu dieser Zeit mit meiner Familie in Bali, wir unterstützen seit Corona mit einem Fairtrade-Onlinehandel das balinesische Kunsthandwerk. Ich hatte gehört, dass „etwas“ kommen soll. Dass die Ausmaße aber derart dramatisch wurden, damit hat niemand gerechnet. Als die Nachricht von meinen Mitarbeitern kam, war ich erst einmal geschockt, wurde ab da per WhatsApp und mit Videos auf dem Laufenden gehalten. Ich musste mitverfolgen, wie die ersten unserer bunten Zirkuswagen wegschwammen und andere kurz davor waren abzusaufen. Die Feuerwehr konnte einen noch rechtzeitig aus der Schusslinie bringen. Meine Mitarbeiter haben versucht, zu retten was geht, irgendwann war das Wasser aber überall und sie mussten aufgeben. In den folgenden Tagen, Tausende Kilometer entfernt im 38 Grad heißen Bali und immer mit einer Zeitverschiebung von sechs Stunden, konnte ich nicht mehr tun, als auf neue Nachrichten und Fotos zu warten. Erst nach einer Woche konnten wir zurückfliegen.

Die Idylle vor der Sturmflut

Die Verwüstung danach

CWH: Es kam Hilfe.
CA: Das war wirklich großartig, alle unsere Fans, Stammkunden, Freunde und Nachbarn sind gekommen, haben ihre Füße in Gummistiefel gesteckt und los ging’s. Sie haben Gräben gezogen, damit das Wasser ablaufen kann, haben die Zirkuswagen wieder aufgerichtet und das Allergröbste versucht aufzuräumen. Diese Hilfsbereitschaft war einfach wunderbar, teilweise hatten wir so viele Freiwillige, dass das Werkzeug nicht reichte. Sogar ein völlig Fremder kam von der Nordseeküste zu uns, er kannte unsere Gegend vom Angeln, wollte helfen und ist den ganzen Tag mit dem Minibagger gefahren und hat Rohre verlegt. Dieses Gemeinschaftsgefühl und all die Solidarität sind wirklich etwas ganz Besonderes.

CWH: Eine Spendenaktion gab es auch.
CA: Ja, meine Mitarbeiter haben sofort eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Es kam genug Geld zusammen, um die Elektrik neu zu verlegen und den Deich von einem Tiefbauunternehmen neu aufschütten zu lassen. Unsere Überschüsse hatten wir in der Vergangenheit in regenerative Energien und in Nahwärme-Ringleitungen investiert. Das hat die Flut nun alles wieder zerstört. Finanzielle Hilfen vom Land haben wir nicht bekommen – nur einen zinsgünstigen Kredit.

CWH: An Ostern ging es aber dennoch wieder los.
CA: Wir alle haben in den vergangenen Monaten sehr viel Zeit und Energie in den Platz investiert. Dass wir den Platz nun tatsächlich wieder öffnen konnten, haben wir nur der Hilfe all der Freiwilligen zu verdanken. Natürlich sieht es aufgrund des ganzen Lehms der abgebrochenen Steilküsten noch nicht wieder überall grün aus. Alle Plätze können noch nicht wieder geöffnet werden. Ganz im Osten ist eben vieles noch nicht wieder befestigt, dort macht es noch keinen Sinn. Auch unsere Mietobjekte, die es am härtesten getroffen hat, werden wir alle erst über den Sommer wieder neu ausgerichtet haben. Es gibt noch viel zu tun.

CWH: Wie schauen Sie in die Zukunft?
CA: Damit das Camp in Zukunft besser geschützt ist, haben wir viele Maßnahmen getroffen. Um in der Zukunft noch schneller evakuieren zu können, dürfen direkt am Meer nur noch Campingbusse und kleine Wohnmobile stehen, die im Notfall schnell weggefahren werden können. Die Ferienhäuser werden in Zukunft an den Eingängen mit Flutschotts versehen, Stromverteiler sind nun höher gebaut und Pumpen und Notstromaggregate wurden angeschafft. Die richtige Uferbefestigung soll dabei helfen, die Küstenerosion so gering wie möglich zu halten. Dennoch weiß kein Mensch, wann ein solches Wetterereignis wieder passiert – und vielleicht war dann auch alle Mühe umsonst.

Keine Gartenzwerge mehr

„Bevor ich den Platz von meinen Eltern übernommen habe, wurde er von einem Pächter bewirtschaftet. Dieser ging insolvent, hatte betrogen, was sogar die Kripo auf den Plan gerufen hatte. Ich bin damals aus Hamburg, wo ich in der Veranstaltungsbranche tätig war, an die Ostsee gefahren, um die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen – und bin hängengeblieben. Der Platz war total heruntergewirtschaftet, es gab über 80 Prozent Dauercamper, manche haben sich wie Grundstückseigentümer benommen. Mir war klar: Entweder ich gebe auf oder ich ändere etwas. 2014 haben wir dann begonnen, eine neue Philosophie auf dem Camp einzuführen. Seither gibt es kein übertriebenes Regelwerk mehr, keine Gartenzwerge, keine Plastikverbauungen und keine Ballermannkultur. Wir haben mehr Platz für touristische Camper geschaffen und bieten ganz besondere Unterkünfte: echte Zirkuswagen, Safarizelt und Bungalow. Auch haben wir eine Pflanzliste von einem Gärtner bekommen, um küstentypische Vegetation anzupflanzen. Diese Umgestaltung hätte mir auch um die Ohren fliegen können. Das war natürlich erst einmal ein ,Kampf der Kulturen‘ mit den alten Dauercampern. Vielen war die neue Ausrichtung zu alternativ, zu hippiemäßig, zu bunt, verrückt und frei.“ Christof Albrecht, Camp-Langholz
(KW)

Fotos: Christof Albrecht/Camp Langholz