Warten auf Godot

Das Ahrtal in den Tagen nach der Flut. Auf dieser Luftaufnahme ist der Campingplatz Schuld zu sehen.

Absurdes Theater

Das Theaterstück von Samuel Beckett ist zu einem Inbegriff für langes und aussichtsloses Warten geworden. Die Handlung tritt auf der Stelle, nichts passiert, einzig das Warten der Protagonisten steht im Mittelpunkt. Genau so geht es in der Ahrregion vielen Menschen, die von der Flutkatastrophe getroffen wurden. Die einen warten seit nun knapp über einem Jahr auf Spendengelder, die aber nur langsam ankommen, andere darauf, ihren Betrieb überhaupt wieder öffnen zu dürfen.

Laut einer Umfrage des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) wurden bislang rund 655 Millionen Euro gespendet – mehr als jemals zuvor nach einer Katastrophe in Deutschland. Bisher wurde aber nur ein Teil der privaten Spenden ausgezahlt, zu einem großen Teil liegt das Geld noch immer auf den Konten der Hilfsorganisationen. Grund dafür ist das Nachrangigkeitprinzip. Dieses regelt, wann welche Gelder ausgeschüttet werden. Zuerst müssen Versicherung oder staatliche Wiederaufbauhilfe für die Schäden aufkommen, erst danach dürfen private Spendengelder verteilt werden. Schnell und unbürokratisch sollte alles laufen, versprach Olaf Scholz, damals noch Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister. Wenig ist davon zu spüren. Waren die freiwilligen Helfer damals schnell, effizient und unkompliziert, kann die deutsche Bürokratie von solchen Adjektiven nur träumen. Das bekommen auch zwei Campingplatzbetreiber zu spüren, die ihre Plätze im rheinland-pfälzischen Teil des Ahrtals noch immer nicht öffnen dürfen. Der Landkreis Ahrweiler hat ein Schutzmaßnahmenkonzept gefordert. Bis heute gibt es aber keinerlei Feedback oder gar eine Freigabe auf und für die vorgestellten Maßnahmen. Kann das wahr sein? Wir haben nachgefragt.

Mario Frings, Campinganlage Stahlhütte im Naturpark Eifel-Ahr
Mario Frings besitzt drei Campingplätze, zwei davon liegen im Ahrtal, beide wurden von der Flut getroffen. Camping Frings-Mühle liegt in NRW und ist wieder geöffnet. Die nur zwei Kilometer entfernte Campinganlage Stahlhütte in Rheinland-Pfalz ist seit über einem Jahr geschlossen. Hier fehlt die Freigabe für ein vom Landkreis Ahrweiler gefordertes Konzept, dass Frings vom TÜV Süd für viel Geld hat erstellen lassen. Inhaltlich geht es bei diesem Betreiberkonzept um den Fall der Evakuierung bei einer erneuten Flutkatastrophe, bei Anschlägen, Erdbeben usw. Ein riesiges Schriftwerk. „Nun brauche ich“, erzählt Frings, „die Absegnung seitens der Struktur- und Genehmigungsdirektion, bekomme aber weder eine vernünftige Aussage noch ein Statement, noch eine Freigabe. Es passiert einfach nichts. Dieser Stillstand, dieses Nichtreagieren macht mich einfach nur sprachlos und wütend. Zudem kann es doch auch nicht sein, dass der Landkreis Ahrweiler der einzige Landkreis in Rheinland-Pfalz ist, der ein Evakuierungskonzept fordert. Das ist Ungleichbehandlung. Definitiv niemand möchte, dass so etwas noch einmal passiert und natürlich ist ein Katastrophenplan notwendig, dieser sollte aber bitte doch für alle oder für keinen gelten. Wir sind ja nicht der einzige Platz, der am Wasser liegt und Tallage hat. Um einen Konsens zu finden, wäre es doch wesentlich sinnvoller und effektiver, alle an einen Tisch zu holen, anstatt von einem Schreibtisch aus irgendwann einmal zu sagen, wohin der Hase jetzt laufen soll. Solche Beschlüsse sollten einfach nicht von Menschen entschieden werden, die letztendlich keine Ahnung von Camping und dem Business dahinter haben. Auch vonseiten der Landesregierung geht nichts voran, was allen Betroffenen, nicht nur uns Platzbetreibern, das Gefühl vermittelt, dass es niemanden in den Ämtern interessiert oder dass sich niemand dafür verantwortlich fühlt. Wenn man dann sieht, wie die Landesspitze vor die Medien tritt und erzählt, was alles schön ist und was alles super läuft, ist das schon irritierend. Ich weiß nicht, auf was die sich beziehen, ich kann das nicht bestätigen. Wenn ich mal kurz Zeit habe, ins Ahrtal fahre, um einen Kaffee zu trinken, sieht es noch überall scheiße aus, anders kann man das einfach nicht sagen. Es ist zermürbend. Inzwischen denke ich, dass ich einfach mit dem teuren Wiederaufbau beginne, auch ohne die Freigabe des geforderten Konzepts. Bestandschutz genießt mein Platz ja, da Gebäude erhalten blieben. Sollen sie mich eben verklagen, dann muss ein Gericht klären, ob ich öffnen darf oder nicht.“ Die Nachfrage wäre auf jeden Fall da, seine beiden anderen Plätze sind gut besucht. Aber es fehlt der Umsatz der Stahlhütte, die viel Geld verschlingt, auch ohne dass dort jemand steht und Urlaub macht: 7.000 Euro Grundsteuer, Grundgebühr für Wasseruhr, Leistungsmessung des Stromzählers, Versicherungen usw.

Der Weg in die Zukunft ist mehr als ungewiss, auch für die Campingplätze der Region.

Christoph Zerwas, Viktoria-Station
Auch dieser Platz war komplett überspült worden und ist nun ebenfalls seit einem Jahr geschlossen. Christoph Zerwas hat keine Betriebserlaubnis. Seine Gebäude wurden als nicht erhaltenswert eingestuft. Das wurde ohne Besichtigung, aus der Ferne entschieden. Im Gegensatz zur Bewertung des Platzes seines Kollegen Mario Frings: Bei ihm hatte sich eine Delegation angesagt, ist vorbeigekommen, hat den Platz besichtigt und dann entschieden, dass seine Gebäude erhaltenswert sind und er Bestandschutz genießt. „Sehr eigenartig“, sagt Zerwas, „bei mir war niemand persönlich vor Ort. Ich habe, als ich das erfahren habe, sofort bei der Kreisverwaltung angerufen. Natürlich gönne ich Mario Frings seinen Bestandschutz, aber warum bei mir keine Besichtigung stattgefunden hat, müssen sie mir schon plausibel erklären. Stellt sich nur wieder die Frage, wann das sein wird. Auch ich musste ein Konzept abgeben und habe dazu noch nichts gehört. Ich weiß allerdings, dass ich wohl Fläche für den Gewässerstreifen abgeben muss. Das sind bei mir ein paar tausend Quadratmeter. Ob sich dann die verbleibende Fläche noch rechnet und ich dort weiter wirtschaftlich arbeiten kann, wird sich herausstellen. Im Augenblick hänge ich aber noch komplett in der Luft und habe keine Ahnung, wie und wann es weitergehen wird. Diese oder eine ähnliche Situation kennen hier viele, da bin ich nicht alleine. Durch den Wegfall der Campingplätze sind auch viele andere Betriebe wirtschaftlich hart getroffen. Wir leben hier in unserer Region von Weinbau und Tourismus. Wenn mein Platz voll war, hatte ich alleine circa 800 Urlauber. Wenn es an Touristen fehlt, fehlt es an Kaufkraft. Der Bäcker verkauft sehr viel weniger Brötchen, Lebensmittelläden haben Einbußen usw. Es betrifft viele Betriebe und natürlich auch Arbeitsplätze. Ich habe das Gefühl, dass es denjenigen, die über all das entscheiden, gar nicht bewusst ist, was da alles dranhängt. Keiner denkt darüber nach, was die Campingplätze für die Region bedeuten. Sicherlich brauchen wir Schutzmaßnahmen, aber bitte so, dass es sich für Campingbetreiber auch noch lohnt, ihrer Arbeit nachgehen zu können. Schließlich verdienen wir unser Geld damit. In den ersten Monaten nach der Flut war kein Mensch von der Verwaltung vor Ort. Jetzt im Nachhinein wird bemängelt, dass dies und das nicht richtig umgesetzt und erneuert wurde. Da muss ich schon fragen: ‚Wo seid ihr denn alle gewesen, damit wir euch hätten fragen können?‘ Niemand war da, niemand hat sich aus dem Loch getraut! Natürlich waren anfangs alle überlastet, so eine Situation kannte ja keiner. Das lasse ich auch gelten, aber inzwischen ist eben ein Jahr vergangen, da sollte dann doch endlich etwas vorangehen. Taten müssen folgen und die Worte der Regierung ‚unproblematische, schnelle Hilfe‘ sollte aus unserem Wortschatz gestrichen werden. Natürlich trifft es gerade die Privaten oftmals hart. Es geht bei vielen ja seit über einem Jahr nicht weiter – das kann man eigentlich kaum glauben. Mir geht es fast schon gut, ich habe mein Haus fast wieder fertig, anderen geht es nicht so gut. Man kann sich nur an den Kopf fassen. Wären nach der Flut die vielen freiwilligen Helfer nicht gewesen, sähe es noch schlimmer aus und wir wären sicher nicht da, wo wir heute sind. Ich habe vier Wochen nach der Flut meinen Garten- und Landschaftsbaubetrieb wieder aufgemacht. Ohne ihn sähe es schlecht aus, so kann ich die Kosten für den Campingplatz decken. Wie es weitergeht, werden wir sehen. Bis dahin werden wir eben weiter warten.“ Grüße an Godot!

Wussten Sie?

In manchen Fällen verhinderten die Regeln sogar komplett die Auszahlung – und das monatelang! Unternehmer dürfen von Hilfsorganisationen laut den derzeitigen Regeln nicht bedacht werden. Das ist auch für die Winzerinnen und Winzer an der Ahr ein Problem. Die von ihnen gegründete Hilfsorganisation verschenkte Flutwein aus überfluteten Kellern. Die Aktion ging um die Welt – es kamen sieben Millionen Euro zusammen.

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